Wege der Ganzwerdung

Reiki – eine spirituelle Disziplin

Reiki-MeisterWas heißt das? Reiki ist nicht
allein eine Heilmethode, sondern auch eine spirituelle Disziplin. Und
eine spirituelle Disziplin ist ein Übungsweg. Der traditionelle
Weg einer spirituellen Disziplin beginnt immer mit einer Initiation,
einer Einweihung. Diese bewirkt eine Öffnung zum kosmischen
Bewusstsein, eine Öffnung der eigenen Energiekanäle. So
auch bei Reiki. 

Die Absicht der Initiation ist es, das Bewusst-Sein
und damit die Wahrnehmung zu erweitern. Sie eröffnet uns Zugang
zu anderen Wahrnehmungsbereichen – häufig jenseits der Grenzen
des Verstandes. Die tiefe Verbundenheit unter den Teilnehmern eines
Reiki-Seminars oder während eines gemeinsamen Reiki-Austausches
kommt durch die Einweihung und das Praktizieren von Reiki, das Üben
zustande.

Einer meiner Seminarteilnehmer hat
diesen Zustand auf folgende Weise beschrieben: „Plötzlich
fühlte ich eine Liebe für alle Anwesenden, ohne
Unterschied.“ Da spricht nicht der Verstand, der ständig
urteilt, abschätzt, vergleicht. Da spricht eine Kraft, ein
Bewusstseinszustand, der über die normale, begrenzte Sicht der
Dinge hinausgeht.

Jede Disziplin, ob Kampfkunst oder
Heilkunst, hat eine spezifische Methode entwickelt, die gelehrt wird.
Im Usui-System der Reiki-Heilung, japanisch Usui Shiki Ryoho, besteht
die Grundtechnik aus der Ganzbehandlung mit jeweils vier Positionen
für den Kopf- und Oberkörperbereich und fünf für
den Rücken. Man lernt die vorgegebenen Abläufe, hier die
Grundpositionen, die geübt werden, bis sie verinnerlicht sind.
Sie sind das Grundgerüst jeder Behandlung, die »homebase«,
die dem Praktizierenden Sicherheit gibt. Von da aus kann sich ein
Gespür für die Energiequalität der Reiki-Kraft
entwickeln. Reiki entfaltet seine wohltuende Wirkung, wenn es
sorgfältig und kontinuierlich angewandt wird. Wie jeder
spirituelle Weg verlangt Reiki Geduld, Hingabe und Vertrauen.

  

Heilungsprozesse verlaufen schubweise,
sprunghaft: anfangs kann es enorm schnell gehen. Insbesondere auf der
körperlichen Ebene sind häufig Spontanheilungen zu
beobachten. Später kann das Gefühl entstehen, zu
stagnieren, ja manchmal sogar zurückzufallen. Dann höre ich
Kommentare wie: „Also Reiki funktioniert nicht“, „,.. zumindest
nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe“, „Ich habe das Vertrauen in Reiki
verloren …“ Durchaus nachvollziehbar.

Wir, als vom Fortschritt gehetztes
Volk, müssen ständig Fortschritt und Optimierung
produzieren. Aber das Leben ruht auch einmal, und Trennungs-und
Sterbeprozesse sind ebenso natürliche Bestandteile des Lebens.
Alles muss immer schneller, immer besser werden. Wie die Wirtschaft,
so sind auch wir programmiert. Diese Devise lässt Stress
entstehen, führt zu nicht einzuhaltenden Ansprüchen, und
trägt schließlich mit zur Entstehung von Krankheiten bei.
Es bedarf einer gewissen Standfestigkeit, eben einer Disziplin des
Übens. Nur diese bildet auf die Dauer das Vertrauen in Reiki und
in uns selbst, das uns durch Krisen trägt. Eines sollten wir uns
bewusst machen; Heilungs- und Wachstumsprozesse sind ohne die
Erfahrung von Leid und Schmerz nicht möglich. Reiki ist kein
Penicillin.

Die Lebensregeln

Im Usui-System gehören die fünf
Lebensregeln ebenfalls zum Übungsweg. Sie geben die geistige
Struktur vor, in der wir Reiki anwenden. Eine spirituelle Disziplin
gibt immer Richtlinien vor, ob sie einem nun gefallen oder nicht – es
ist so. Mir selbst haben die Reiki-Lebensregeln jahrelang auch nicht
gefallen. Ich habe mir viel Mühe gegeben, sie zu ignorieren. Bis
mir nach und nach aufging, welch einen Schatz sie darstellen.

Gerade heute sorge dich nicht.
Das klingt einleuchtend, Es bedeutet aber nicht, dass wir uns als
Reiki-Praktizierende keine Sorgen mehr machen dürfen, machen
sollen. Auch hier geht es wieder nur Schritt für Schritt. Der
erste Schritt kann sein, zu bemerken, wie häufig und worüber
wir uns täglich sorgen. Wie fühle ich mich, wenn ich mir
Sorgen mache? Womit beschäftigt sich mein sorgenvoller Verstand?
Dieses rastlose Etwas von Verstand, das bereits den größten
Teil meines Lebens kontrolliert. Warum mache ich mir eigentlich
Sorgen? Als ich diese Gewohnheit endlich einmal hinterfragt hatte,
erkannte ich schlagartig die Antwort: Weil es mir an Vertrauen fehlt!
Also könnte ich doch mal in meinem Leben schauen, wo ich
vertraut habe. Welche Vertrauenserfahrungen habe ich gemacht? Wo
vertraue ich mir selbst? Wann habe ich mich vom Leben getragen
gefühlt? Diese Erfahrungen zu reaktivieren, stärkt und
bringt Heilung.

Es transformiert den niedrigen
Energiezustand des Sich-Sorgen-Machens in einen höher
schwingenden, in dem wir mehr und mehr in unserem Heil-Sein, unserem
Ganz-Sein sind.

Gerade heute ärgere dich nicht.
Diese Lebensregel ist für manchen einen eine fast noch größere
Herausforderung, Noch lieber als uns Sorgen zu machen, ärgern
wir uns. Es ist eine Angewohnheit, die aufzugeben mich wirklich an
meine Grenzen bringt. Mir zeigt es stets, dass ich Unabänderliches
nicht annehmen will. Einige Beispiele aus dem Alltag: Der Bus ist
weg, weil der Busfahrer überpünktlich abfährt. Dass
ich zu spät von zu Hause losgegangen bin, steht auf einem
anderen Blatt. Die Waschmaschine bleibt immer mitten im Programm
stehen, weil mein Partner sie nicht repariert, obwohl ich es ihm
schon x-mal gesagt habe.

Schuld daran sind immer die anderen.
Dieses Schema funktioniert im Leben mit Reiki nicht mehr so gut. Wir
übernehmen mehr Verantwortung dafür, was uns und in unserer
Umgebung geschieht – Schritt, für Schritt. Als Phyllis Furumoto
bei der letzten Reiki Alliance Konferenz in Portland über die
Lebensregeln gesprochen hat, sagte sie: »Gib dir Anerkennung
für deine Geduld und den Mut, den du aufbringst, dich täglich
mit diesen Prinzipien zu konfrontieren.«

Ja, das tut mir gut, gibt mir Momente
zu verweilen, die Wertschätzung meiner selbst zu kultivieren.
Reiki zu praktizieren heißt nicht, besser zu funktionieren oder
heilig zu werden, sondern ehrlicher mit sich selbst zu sein, mehr
Erkennen in unser Leben zu bringen, unsere Mechanismen zu
durchschauen. Damit wir zum Beispiel nicht bei den geringsten
Anlässen in die Luft gehen.

Reiki zu üben, es anzuwenden,
bedeutet, das Bewusstsein der eigenen Heilung ständig vor Augen
zu haben und diese in den Alltag zu integrieren.

Ehre
deine Eltern, deine Lehrer und deine Nachbarn.
Dies ist
eine besonders starke Übung, Ja, ich ehre meine Eltern. Dafür
dass sie mir das Leben geschenkt haben. Als ich mich eine Zeit lang
im Zusammenhang mit dieser Lebensregel fernbehandelt habe, Reiki in
meine Beziehung zu meinen Eltern habe fließen lassen, stellten
sich Bilder von großer Stabilität ein, die im Laufe der
Meditation in heitere Bewegung übergingen. Bei meiner Beziehung
zu den Eltern war zentraler Gedanke: Trachte danach zu verstehen. Das
stellt die Beziehung auf eine ganz andere Basis.

Die Lehrer sind für mich weniger
die Lehrer in der Schule, sondern meine spirituellen Lehrer, die mich
auf dem oft steinigen Weg der Erkenntnis mit ihrer Geduld, Liebe,
ihrer Einsatzbereitschaft und ihrem Humor begleiten. Sie haben meinen
Respekt und meine Anerkennung. Das Vertrauen in sie befähigt
mich, wieder Laufen zu lernen, eigene Wege zu gehen, ja den eigenen
Weg wieder zu finden. Wie das Vertrauen zur Mutter, zum Vater, deren
Zuspruch die ersten selbständigen Schritte als Kleinkind
ermöglicht haben.

Manchmal spiegelt mir der Lehrer auch
unangenehme Seiten von mir, legt seinen Daumen auf Wunden – das zählt
zu seinen Aufgaben, und auch oder gerade dafür hat er meinen
Respekt. Einziges Kriterium dabei: Es muss der Förderung meiner
Freiheit und Eigenverantwortung dienen. Ein Lehrer, der den Schüler
nicht zur Freiheit führt, verdient diese Bezeichnung nicht.

Die Nachbarn, oder wie es in anderen
Übersetzungen der dritten Lebensregel steht, die Älteren,
sind für mich meine Mitmenschen. Der viel beschworene Frieden im
Großen wie im Kleinen stellt sich nur ein, wenn jeder versucht,
den Anderen in seiner Andersartigkeit zu achten, in seinen Ansichten,
seinem Handeln. Achten soll heißen, ihn zu verstehen, nicht die
Meinung teilen zu müssen. Das ist nicht immer einfach. So gab es
vor Jahren einen Meister im deutschen Reiki-Meister-Forum, der
Mitglied bei der Republikanischen Partei war. Dies führte zu
heftigen Auseinandersetzungen und letztendlich zu der Frage, was
heißt Deutscher-sein für uns, für mich? Auch hier
galt es zu beobachten, aus welchen Gründen wir so heftig darauf
reagieren, wenn ein anderer Meister sein Deutsch-Sein auf diese Weise
in den Mittelpunkt stellt. Das Hinterfragen unserer selbst ging damit
einher. Wo ist mein Wortschatz gewalttätig, diskriminierend,
steht der Kritiker »Gewehr bei Fuß«?

Nicht unerwähnt lassen möchte
ich eine Ausführung der dritten Lebensregel nach Hawayo Takata:
Zähle deine Segnungen. Das Erinnern dieses Hinweises
hilft mir, das Schöne, die vielen kleinen täglichen
Geschenke wahrzunehmen: das nette Gespräch mit meiner Nachbarin;
die spontane Umarmung durch meine Tochter, die mich aus meinen –
schon wieder sorgenvollen – Gedanken gerissen hat; die Einladung zum
Abendessen; der unerwartete Anruf einer alten Freundin und der
herzliche und inspirierende Kontakt, den wir hatten…

Die Segnungen von Reiki sind unzählbar,
und das Gute ist, sie nehmen kein Ende.

Verdiene dein Brot ehrlich.
Scheint auf den ersten Blick unproblematisch. Schließlich sind
wir keine Waffen- oder Drogenhändler. Aber heimsen wir nicht
doch ab und an kleine unehrliche Vorteile ein und verdrängen sie
sofort? Was tun, wenn die Kassiererin im Supermarkt mir zuviel
Wechselgeld herausgegeben hat? Soll sie doch aufpassen, spricht das
innere Teufelchen. Und Schwarzfahren macht schließlich Spaß,
oder?

Dieses Lebensprinzip beschränkt
sich meiner Meinung nach nicht nur auf den Gelderwerb durch unsere
Hände und unseres Kopfes Arbeit. Sie bezieht sich auf die
Lebensführung schlechthin. In einer Gesellschaft, in der jeder
jeden über den Tisch zu ziehen scheint und in den seltensten Fällen gemaßregelt
wird, stellt es eine permanente Herausforderung dar, nicht diesen "allgemeinen Gepflogenheiten" zu entsprechen. Wie
hält man es mit diesem Prinzip im Umgang mit dem Finanzamt? Je
unpersönlicher und institutioneller die Herausforderung, desto
mehr Wachsamkeit und Ehrlichkeit ist gefordert. Disziplin auf allen
Ebenen ist nicht immer einfach.

Sei liebevoll zu allem, was lebt.
Diese Lebensregel, wie ich sie bei Takata gefunden habe, schließt
alles Lebendige mit ein. Eine Aufforderung, alles anzunehmen,
bedingungslos. Da fällt mir eine schöne Geschichte ein, die
ich in Curacao von zwei Reiki-Meistern gehört habe. Diese beiden
haben Nachbarn, die ihre Anwesenheit mit lauter Musik zur Schau
stellen, mit lautstarken Zänkereien und lärmenden
Grillfesten, bei denen Schwaden von Schweinefett in ihr geöffnetes
Wohnzimmer und den Reiki-Raum ziehen. Nachdem sich die beiden
Reiki-Meister schon häufig über die Beeinträchtigungen
durch ihre Nachbarn geärgert hatten, beschlossen sie den
Versuch, ihnen Reiki zu schicken, wann immer sie ein Reiki-Seminar
oder Treffen hatten. Der Erfolg war verblüffend: die Zänkereien
hörten auf, der Ghettoblaster wurde einige Dezibel herunter
gedreht. Eines der vielen Reiki-Wunder!

Eine schöne Erfahrung habe ich
selbst mit einem kläffenden Hund in meiner Nachbarschaft
gemacht. Während der Fernheilung wurde mir bewusst, dass dieses
Tier einfach zu wenig menschliche Ansprache und Anteilnahme bekommt.
Also bellt der Hund, um zu zeigen, dass er lebt, dass es ihn gibt.
Umsorgte Hunde schlagen nur selten an, zumeist nur, wenn sie Gefahr
wittern.

Indem ich etwas für andere tue, ob
Mensch, Tier oder Pflanze, tue ich auch immer gleichzeitig etwas für
mich. Im Fall des kläffenden Nachbarhundes anerkenne ich mein
Bedürfnis nach Ruhe. Reiki ist kein Hexenwerk, der Nachbarhund
bellt immer noch – nur manchmal etwas fröhlicher – so scheint es
mir.

Zum Abschluss sei gesagt: Würde
ich in einem Monat über das Praktizieren und die Lebensregeln
schreiben, kämen mit Sicherheit nicht die gleichen Zellen zu
Papier. Eine neue Erfahrung, eine neue Einsicht, eine neue
Selbsterkenntnis würden zu Änderungen oder Ergänzungen
rühren. Diese Betrachtungen sind als Anregung gedacht, kein
Kanon der rechten Reiki-Lebensführung.

 

Dieser Beitrag erschien erstmals im Reiki-Kalender 1998 der edition treves, Trier. Mit freundlicher Genehmigung und leicht überarbeitet von Krishna Kloers (siehe Autorenliste), Reiki-Meisterin in Freiburg

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