Wege der Ganzwerdung

Loslassen und Askese – ein Interview mit Don Alexander

MeditationFür "Das Reiki-Meister-Buch" führte Peter Mascher ein Interview mit Don Alexander.  An dieser Stelle veröffentlichen wir nun alle Textteile, die aus Platzgründen nicht im Buch erscheinen konnten, und von Peter zusammen gefasst wurden. Don Alexander spricht hier über Shugyo, den harten asketischen Weg, über das Aufgeben von Kontrolle und Bequemlichkeit sowie persönliche Prozesse in den Bergen von Thailand. 

Peter: Du sagst immer, dass Bewusstsein wie Wasser zwischen den Fingern verrinnt…..

Don: Ja, Wasser fließt abwärts und so ist das auch mit unserem Bewusstsein. Wir müssen es hoch halten, selber auftauchen und nicht auf ein bequemes Niveau herab sinken.

Peter: Du hast in den Bergen praktiziert. War das die größte Herausforderung für dich?

Don: Es war die größte Herausforderung und auch die schönste Belohnung, wenn ich das so überhaupt benennen kann. Es fühlte sich nicht so an, aber rückblickend in meiner Erinnerung ist das so. Die Hauptqualität dieser Praxis ist der Verzicht auf Kontrolle. Wir mögen Kontrolle in unserem Leben. Ich möchte reden, also rede ich. Ich möchte aufstehen und so stehe ich auf. Ich möchte etwas essen und so tue ich das auch. Ich arrangiere mir das Leben in der Regel so, dass ich über die meisten Dinge Kontrolle habe. Wenn ich mich für einen bestimmten Übungsweg verpflichtet habe, dann gebe ich einen Teil meiner Kontrolle auf.

 

Zum Beispiel Shugyo, der Weg der Askese auf dem Berg, erlaubt uns nur noch wenige Ausflüchte. Wenn die Regel besagt, nur einmal am Tag zu essen, dann bedeutet es, dass ich – auch wenn ich mich noch so hungrig fühle und mein Körper geschwächt ist – dieses unbehagliche Gefühl nicht durch eine weitere Mahlzeit beheben kann. Durch die eingegangene Verpflichtung verzichte ich für einen bestimmten Zeitraum auf die gewöhnliche Kontrolle durch mein Ego. Und so ist das dann auch mit dem Schlafen, Trinken, Sprechen, Meditieren. Was auch immer die Intensität meiner täglichen Praxis ausmacht, was auch immer ich fühle, ich habe auf diese Weise meine Handlungsfreiheit extrem eingeschränkt.

Peter: Ich erinnere mich da an eine Situation, die du mir mal geschildert hast. Du hast in einer Höhle gelebt und warst schon sehr krank…..

Don: Ja, ich war abhängig von einer bestimmten Pflanze und die trocknete aus und war einfach nicht mehr zu finden. Ich war auf einer Bergspitze, geschützt in einer Höhle, aber auf einmal ohne jegliche Nahrung. Als die Tage und Wochen so verstrichen, wurde mir klar, dass ich zu krank und schwach wurde, um den Berg hinunter zu steigen, und die Möglichkeit bestand, dass ich hier meine Knochen begrub und mich niemand auffinden würde an diesem versteckten Ort. Diese Aussichten haben mich natürlich erstmal „erschlagen“. Doch dann begann ich etwas zu tun, was ich schon Jahre vorher hätte tun können: mich zu hundert Prozent mit meinem Bewusstsein einzusetzen.

Es war nicht die Anstrengung am Leben bleiben zu wollen. Es war mir klar nach all den Jahren der Praxis, dass überall auf der Erde Millionen von Menschen leben. Entweder sind sie lebendig oder tot. Das sind die beiden Möglichkeiten und es gibt nichts dazwischen. Was macht irgendeinen dieser Millionen Menschen denn so einzigartig? Nicht dieser Zustand, dass sie lebendig oder tot sind. Wir sind doch alle gleich, entweder lebendig oder tot. Und hier in dieser Höhle war ich nun lebendig oder tot und nichts daran war etwas besonderes. Das besondere war der Weg, den ich gewählt hatte, meine Praxis und Meditation, und dass mir nun praktisch die Zeit davon lief, das zu tun, was ich tun musste. Das gab mir nun den Antrieb weiter zu üben achtzig bis neunzig prozentig und fast hundert prozentig. Es war eine sehr spezielle Zeit und trotz Nahrungsmangel verschwand das Meiste der Krankheit bald aus meinem Körper in einer Art von Selbstheilung.

Peter: Könnte man sagen, Du hast gewisse Abhängigkeiten gelöst, weil Du gar keine andere Wahl mehr hattest. Du musstest Ängste loslassen und durch dein absolutes Ja zu deiner Praxis und deinen Einsatz dafür, warst Du in der Lage, dich selbst zu heilen. So wie Buddha es ausdrückte: das Leid kommt durch das Anhaften unserer Sinne, das Anhaften an dieser Welt, diese scheinbare Abhängigkeit vom Leben an sich.

Don: Ja, das Loslassen dieser Abhängigkeit. Es war dieses Anhaften entweder an das Leben oder an den Tod. Und keiner dieser Zustände war wirklich wichtig. Das brachte die Heilung in Gang. Unser Hauptproblem ist die Bequemlichkeit. Es gibt Ebenen der Bequemlichkeit von denen wir abhängig sind, um uns glücklich zu fühlen. Das ist für jeden Menschen unterschiedlich und abhängig von der jeweiligen Lebenssituation. Das ist wie ein Fußballer auf dem Feld. Der Grad an Behaglichkeit ist hier viel geringer als wenn er sich das Spiel nur im Fernsehen gemütlich auf seiner Couch ansieht. Hier auf dem Feld ist der Gedanke an die gemütliche Couch auf einmal völlig nebensächlich. Hier geht es um alles, vollster Einsatz, koste was es wolle. Und so ist es auch auf dem spirituellen Pfad. Die Wahrnehmung der eigenen Grenzen, was Bequemlichkeit angeht, verändert sich dramatisch. Und es ist der Verzicht auf diese Abhängigkeit von einem bestimmten Level an Behaglichkeit, der einen dann befreit.

Peter: Gehört hierzu nicht auch der Mut, sich den Erfahrungen des Lebens in seiner ganzen Fülle immer wieder von neuem hinzugeben?

Don: Ja, sozusagen direkt im Rohzustand!

Peter: Im Rohzustand? Ich denke da zum Beispiel an Beziehungen, Verletzen und verletzt werden, und dem Mut, hier nicht auszuweichen.

Don: Ja, es gibt da aber einen wichtigen Unterschied. Auf dem Fußballfeld, in der Ehe oder in einer Beziehung ist die Motivation für eine Handlung oft der Erfolg, der persönliche Gewinn oder das Erlangen von Kontrolle über eine Situation. Auf dem spirituellem Pfad und im Shugyo, der Askese auf den Bergen oder wo auch immer, ist es das Ziel, jegliche Motivationen oder Ziele aufzugeben.

Peter: Das ist also wie ein neuer Blickwinkel auf die Erfahrungen, die ich gerade mache. Wir neigen ja dazu, alles, was wir so erleben, einfach für bare Münze zu nehmen. Wenn dann neue Sichtweisen meine Erfahrungen begleiten, dann schaffe ich es vielleicht, die eine oder andere Situation mal anders zu betrachten und kann sicher auch in einer Beziehung mal anders auf meinen Partner zugehen.

Don: Ja, so ist das!

Peter: Nochmal zurück zu der Höhle. Es haben dich dort auch mal Menschen besucht, die dir helfen wollten. Sie brachten dir Nahrung und jeder „normale“ Mensch hätte sich bedankt und gegessen und getrunken, was das Zeug hält. Du hattest aber ein „kleines“ Problem….

Don: Ja, als ich nun echt gewillt war von allem loszulassen, da antwortete mir die „Welt“ mit zwei Männern, die sich auf den Weg machten mit Bambusstöcken auf ihren Schultern und kleinen Körben gefüllt mit Reis und anderen nahrhaften Dingen. Als praktizierender Bhikku-Mönch hatte ich mich aber verpflichtet, nach 12 Uhr mittags nichts mehr zu essen. Es gab nur eine Mahlzeit am Morgen und nun war es schon 1 Uhr mittags. So musste ich diesen wunderbaren Menschen das nun erklären. Sie gehörten zu den Meo, einem Bergvolk und sprachen nicht mal Thai, sondern einen alten chinesischen Dialekt. Ich zeigte ihnen also mit einem aufrechten Stock im Sand, wo der Schatten sich befand und wo er sein musste, damit ich das Essen annehmen konnte. Und es war keine Frage mehr für mich, ob ich das Essen jetzt doch nehmen würde. Der Gedanke oder die Möglichkeit kam mir nicht in den Sinn. Es war einfach nicht Teil meines „Vertrages“ mit meiner Praxis und mit mir selbst.

Peter: Es fällt mir etwas schwer, das zu glauben.

Don: Stell´dir das so vor: da geht ein ehrlicher Mensch in den Supermarkt und schaut sich so um, was im Angebot ist. Er käme nicht auf die Idee etwas zu stehlen und so muss er diesen Gedanken auch gar nicht erst unterdrücken. So war das auch für mich. Ich empfand eine unglaubliche Dankbarkeit für diese Menschen, ihren Aufwand um zu mir zu gelangen und eine tiefe Dankbarkeit für meine Praxis, nicht nur meine persönliche Praxis sondern auch für die Regel, die besagt: kein Essen nach 12 Uhr. Ich sah eine offene Tür und die unendlichen Möglichkeiten dahinter, die sich aus dieser selbst auferlegten Begrenzung ergaben. Die Regeln waren die größte Unterstützung, die ich hatte. Sie waren, wie ein Fels auf dem ich sicher saß. Und es war überhaupt keine Frage, dass ich diesen wundervollen Platz aufgeben würde, um mir Essen in den Mund zu „stopfen“. Die Männer gingen, setzten sich auf einen Stein und aßen dann alles selber. Am nächsten Tag kamen zwei andere Männer mit einem Festessen, welches sie sich selber nur an Feiertagen gönnten und genau zur rechten Zeit. Das war einfach unglaublich!

Peter: Ich bin froh, denn das ist der Grund, warum wir heute hier sitzen können! Ich stelle mir gerade vor, welchen Respekt diese Menschen für dich wohl empfunden haben. Sie hätten sich ja auch kopfschüttelnd wieder zurückziehen können am ersten Tag. Sie haben aber deine Dankbarkeit gespürt und so kamen sie zurück mit Geschenken und Respekt. Haben sie vielleicht einen Meister in dir gesehen?

Don: Ja, vielleicht haben sie einen Mann gesehen, der mal für kurze Zeit seinen Kopf über eine Mauer streckt und sich dann wieder auf seine Bequemlichkeit zurückzieht. Denn als ich wieder etwas kräftiger wurde, fand ich viele Gründe, um vom Berg runter zu steigen. Der Monsunregen begann und von den vielen Stalaktiten in meiner Höhle fing das Wasser an zu tropfen. Nach zwei Regentagen wurde mir klar, dass ich hier nicht bleiben konnte für die nächsten drei Monate. Und so stieg ich hinab. Mit Abstand betrachtet hätte ich das nicht tun sollen. Dies war mein Platz, der richtige Ort um mich selbst zu trainieren. Und so habe ich mich dann ganz galant aus der Affäre gezogen.

Peter: Ich finde, du betrachtest deinen Weg mit viel Demut und setzt dir keine Krone auf. Es gibt immer wieder Menschen, die so wie du durch einiges durchgegangen sind und in ihrer  Praxis viel über Demut und Dankbarkeit gelernt haben. Ich denke da an den Mönch, den wir in einem Tendai buddhistischem Kloster in Tokyo getroffen haben. Er zeigte uns ohne Stolz seine blauen Knie, die er von Hunderten von Niederwerfungen im Gebet bekommen hatte.

Don: Ja, vergiss` 21 Tage auf dem Berg! Das waren tausend Tage für ihn.

Peter: Und er ist so ein demütiger Mann, und doch leuchtend und kraftvoll zugleich.

Don: Oh ja, und du ahnst, wie hart wohl seine Praxis gewesen ist, und zugleich war er der liebevollste Mann, den ich mir vorstellen konnte. Und das ist für uns hier im Westen schwer vorstellbarm was Shugyo, der harte asketische Weg, so bewirken kann.

Peter: Vor einigen Wochen war ich wieder auf dem Kuramayama. Ich stieg die steinernen Treppen hinauf auf der Rückseite und bat um innere Führung. Mit jedem Schritt nach oben habe ich etwas mehr von meiner Vergangenheit, meiner persönlichen Geschichte und den damit verbundenen Schmerzen und Verletzungen losgelassen. Und während ich so nach oben stieg, fühlte ich mich immer mehr in Kontakt mit der Energie des Berges, dem Wind, den Bäumen und dem Licht, das durch sie hindurch fiel. Und dann gab es schliesslich einen Moment, da war alles gut und ich brauchte nichts mehr auf dieser Welt. Alles war an seinem Platz. Es gab da nichts mehr zu tun.

Don: Wunderbar!

Peter: Später hat mich dieses Gefühl dann wieder verlassen, aber es war ein Augenblick vollkommenen Friedens!

Don: Und das ist für die meisten von uns die Charakteristik des Weges, ein Moment des Friedens und dann werden wir wieder zurückgeschleudert in die Hektik des Lebens.

Peter: Auf den Bergen in Japan sehen wir öfters eine in Stein gehauene Figur. Wir finden sie an Wasserfällen und an alten japanischen Zedern, den Sugi-Bäumen. Die Figur ist ein sogenannter Hüter Buddhas und seine Name ist Fudo-myo-o. Er ist auch der Patron der Kampfkünste und er schaut uns mit einem grimmigen Gesicht an. Er steht für das Karma unseres Lebens und auf dem Kopf trägt er eine Lotusknospe.

Don: Ja, und die meiste Zeit sehen wir die gar nicht. Ihre Anwesenheit steht für die Möglichkeit, alles Leid besser zu verstehen. Wir haben einen Unfall oder werden krank und wollen oft die tiefere Bedeutung einfach nicht wahrhaben.

 

Peter:
Der Tendai-Mönch in Tokyo erzählte uns, dass die Menschen, im übertragenen Sinne, sich an Fudo-myo´s langem Haar hinaufziehen, um zur Lotusknospe zu gelangen. Ist sie ein Bild für Unschuld und Unversehrtheit?

Don: Ja, aber der Weg dahin, wie ich ihn verstehe, geht nur über das Loslassen von Glaubenssätzen und Werturteilen. Wir urteilen über gut und böse. Das möchte ich und jenes nicht, dieses Muster aus Wünschen und Widerständen. Und die Freiheit entsteht nicht daraus, das alles ins Unterbewusste zu schieben, sondern alles ganz bewusst wahrzunehmen und sich zu entscheiden, wann und wie ich Wünsche und Widerstände loslassen kann. So verändert sich auch unser Karma. Karma bedeutet hier auch Schöpfung und die ganze Welt ist eine Schöpfung.

Peter:
Karma ist also nicht nur das scheinbar Schlechte…

Don: Nein, es beinhaltet das ganze Wunder dieser Schöpfung.

 

"Das Reiki-Meister-Buch", in dem sich das vollständige Interview befindet, kann hier direkt bei Amazon bestellt werden

Foto von tinykahuna und Photocase. Das Reikiland dankt für die freundliche Genehmigung.

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2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Hallo allerseits,

    ich bin beim durchforsten der Seiten auf diesen Artikel gestoßen und habe diesbezüglich eine Anmerkung. Zunächst sei jedoch gesagt, dass ich obiges Buch nicht besitze und mir demzufolge eventuell einige Informationen fehlen.

    Don Alexander spricht in diesem Interview von der Praxis als “Bhikku-Mönch”.

    Zum Begriff “Bhikku”

    Mir persönlich sind zwei mögliche Schreibweisen bekannt, nämlich;

    “Bhikshu” als Bezeichnugn des Mönches aus dem Sanskrit und “Bhikkhu” als Pendant in Pali.

    Das weibliche Gegenstück, die Nonne ist die Bhikshuni(Sanskrit) bzw. die Bhikkuni (Pali).

    Diese beiden Schreibweisen finden sich auch im “Lexikon des Buddhismus”, Goldmann Verlag, Seiten 41/42 (Taschenbuchausgabe)

    Ich bin kein Indologe oder Experte für Sanskrit, insofern ist mir nicht bekannt, ob es sich bei dem von Don Alexander gebrauchten Begriff “Bhikku” um eine grammatikalisch korrekte Alternativform, oder evtl um einen Fehler handelt.

    Daher ist es, wie gesagt, lediglich eine Anmerkung.

  2. Ersteinmal einen späten Dank an \\\\\\\"Lichtchen\\\\\\\". Die Schreibweise stammt von mir und wurde von Don nicht korrigiert vor der Endfassung. Don spricht selber fliessend Pali und mich berührt es immer sehr tief ihm beim Chanten zuzuhören.
    Zum Thema\\\\\\\" die Reise auf den inneren Berg\\\\\\\" möchte ich hier gerne Menschen einladen, die an Energiearbeit interessiert sind. Es finden hierzu zwei Seminare statt ende Juni in denen Inhalte des Interviews ihre praktische Anwendung finden. Heilung durch Ki in der Natur am Dreimühlenwasserfall in der Vulkaneiffel(28.6-29.6) und die Auseiandersetzung mit dem eigenen Bewusstsein-inneres Retreat im Ubuntu in Krefeld(21.6-22.6). Beide Seminarorte haben eine sehr schöne Atmosphere und ich lade euch ein mal einen Blick auf meine Website zu werfen für mehr Infos zu den Aktuellen Themen:www.reikiprocess.com
    Gassho
    Peter

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