Wege der Ganzwerdung

Diane Stein: Reiki-Essenz

Synthesis / Medizin und neues Bewusstsein GmbH, Wessobrunn 1997, 213 S., 20,50 Euro
Veröffentlicht im Reiki-Magazin Nr. 2/2005

stein1 Bereits 1995 erschien dieses Buch auf dem US-amerikanischen Markt unter dem Titel "Essential Reiki". Seitdem scheint es – analog zur intensiven Einweihungspraxis der Autorin – zahlreiche Reiki-Praktizierende geprägt zu haben.

Da Diane Stein der Preis von 150,- Euro für den ersten Grad zu hoch war, sie aber in der AIDS-Abteilung eines Krankenhauses Behandlungen geben wollte, ließ sie sich 1988 von einem Freund einweihen, der gerade erst Reiki II gelernt hatte. Als dieser Freund kurz darauf den Meistergrad absolvierte, wurde sie noch einmal eingeweiht und fing an, "die Reiki-I-Handhaltungen in Seminaren zu lehren." (S. 11) 1989 erhielt sie von einer Lehrerin den zweiten Grad und wurde – da sie sich nicht davon abhalten ließ, weitere Reiki-Kurse zu geben – telefonisch über den Ablauf der Einweihungsrituale unterrichtet, um 1990 "beim Dessert" von einer Zufallsbekanntschaft nebenbei in den dritten Grad eingeweiht zu werden.

1991 folgte noch eine "traditionelle" Einweihung zur Reiki-Meisterin und ein verändertes Reiki III-Symbol, woraufhin Diane Stein direkt danach bei einem Frauenfestival 150 Frauen wie am Fließband kostenlos in Reiki einweihte: "Die meisten hatten keine Ahnung, wofür sie anstanden." (S. 13) Vier Jahre später entstand das vorliegende Buch.

Aufgrund der inhaltlichen Fülle dieses Buches würde eine detaillierte Rezension den Rahmen sprengen. Letztendlich stellt Diane Stein sämtliche Lehrinhalte der drei Grade in ihrem Werk vor, dies beinhaltet auch Abbildungen der Symbole und Beschreibung der Rituale. Dass sich ihre Lehre selbst in den Bereichen, die Diane Stein als traditionell bezeichnet, massiv von dem unterscheidet, was Mikao Usui oder Hawayo Takata gelehrt haben sollen, ist angesichts des Weges der Autorin naheliegend. Je höher der besprochene Grad, desto stärker die Abweichungen. Entsprechend ihrer Experimentierfreude werden beispielsweise die Symbole weniger in ihrer klassischen Form benutzt, sondern gedreht, gespiegelt oder gleich ganz neu gemacht. Die Einweihungsrituale kombiniert Frau Stein mit Sexualtechniken aus der taoistischen Liebeskunst Mantak Chias, baut Wicca-Techniken ein und vieles mehr.

Gleichzeitig zeigt die Autorin große Erfahrung in der praktischen Arbeit, kennzeichnet ihre eigene Praxis deutlich und stellt vor allem die Informationen zum ersten Grad anschaulich und oftmals korrekt dar. Die zahlreichen Quellenangaben unterstreichen ihren Forschungsgeist – so entsteht der Eindruck professioneller Schreibkunst, der leider dadurch stark gemindert wird, dass die recht langen Kapitel durch das Fehlen von Zwischenüberschriften und durch thematische Sprünge unstrukturiert wirken. Einige interessante Ansichten möchte ich im Folgenden erwähnen:

Laut Diane Stein ist der Sitz der Reiki-Symbole in der Aura (S. 29), eine Auffassung, die mir in letzter Zeit öfter im Internet begegnet. Die Selbstbehandlung umfasst bei ihr 17 Positionen (S. 54ff), die Partnerbehandlung 21 Positionen (S. 62ff). Damit die Energie aktiviert wird, müssen angeblich immer beide Hände auf dem Körper liegen (S. 44).

"Jedem Heiler wird bei der ersten Einweihung ein geistiger Reiki-Führer zugeteilt." (S. 104) Diese "beaufsichtigen und leiten Lernprozesse, bieten Schutz, bringen Geschenke, helfen dir bei deiner Lebensaufgabe und der Arbeit, die du für andere tust." (ebd.) Fehler bei Reiki-Einweihungen seien nicht dramatisch, da sie von diesen Guides korrigiert würden.

Diane Stein unterrichtet bei Wochenendseminaren alle drei Grade und informiert alle Reiki II-Schüler von ihrem Wunsch, dass sie Reiki III lernen sollen. Außerdem bittet sie alle Reiki III-Schüler, dass sie die Möglichkeit des Lehrens ernsthaft in Erwägung ziehen: "Selbst diejenigen, die anfangs kein Bedürfnis danach haben, unterrichten am Ende doch." (S. 133) Außerdem gibt sie "bei jedem Grad stets alle vier Symbole in beide Hände" (S. 150) und nur eine Einweihung pro Grad: "Es ist die gleiche Einstimmung für alle drei Reiki-Grade" (S. 149).

Bei ihren Einweihungen benutzt die Autorin eine "moderne Variante" des Meister-Symbols, "obwohl ich keine Ahnung habe, woher sie stammt." (S. 134) Der Ausdruck Variante ist allerdings stark untertrieben, da das Symbol völlig anders aussieht und sicher kein Kanji ist. Woher diese Spirale mit Blitz stammen könnte, war bis Redaktionsschluss nicht herauszufinden. Zudem hat Diane Stein ein zweites Symbol dazugenommen, das Raku, ein stilisierter Blitz: "Hawayo Takata benutzte dieses Sanskrit-Symbol nicht, doch wird es heute von den meisten, wenn nicht sogar von allen amerikanischen Reiki-Meistern verwendet. […] Es wird nur bei der Weitergabe von Einweihungen benutzt, jedoch nie bei Behandlungen." (S. 138)

Sehr abstrakt wird es am Ende des Buches, wenn die Autorin versucht, Reiki und speziell die Symbole vor dem Hintergrund buddhistischer Lehren zu erklären: "Die fünf Reiki-Symbole stellen die fünf Ebenen des Geistes dar. Zusammen verkörpern sie die aufgehobene Dualität von Geist und Objekt sowie die Leere des Ego, das die höchste Stufe des vollendeten Wegs der Erleuchtung (buddhistisches Nirwana) erreicht. Mit Erreichen dieser Stufe wird die Kette der endlosen Wiedergeburten durchbrochen." (S. 190)

Diane Stein wird von ihrem Verlag als erfolgreiche Buchautorin in Sachen weiblicher Spiritualität bezeichnet und soll eine Stimme mit großem Gewicht in der Frauenbewegung haben. So manche Veränderung in der Theorie und Praxis des Usui-Systems, die mir in den letzten Jahren vor allem via Internet oder in dem Buch von Delnooz/Martinot (siehe Rezension im Reiki Magazin 4/04) begegnet sind, könnten ihren Ursprung bei dieser Autorin haben. Manch einer wird sich von ihrer Lehrpraxis lieber distanzieren, andere mögen sie – speziell in den USA – als Wegbereiterin eines neuen Stiles verehren. Spurlos geht ihr Wirken sicher nicht an der Reiki-Gemeinschaft vorbei – wenn es auch in meinen Augen eher zu Lasten einer verantwortungsvollen Reiki-Praxis sein dürfte.

 

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Frank Doerr

Veröffentlicht von

Intensive Reiki-Praxis seit 1993 und beständige Fortbildung. 1998 Reiki-Meister der 6. Generation in der Linie Usui – Hayashi – Takata – Furumoto – Kindler. Von 1994 bis 2009 Mitarbeiter beim Reiki-Festival. 1996 im Gründungsteam des Reiki Magazins, seitdem Redaktionsmitglied bzw. freier Mitarbeiter. Seit 1999 Chefredakteur von Reikiland.de. Veranstalter der ReikiCon (seit 2010) sowie Gründungsmitglied von ProReiki. Publikationen: Die Reiki-Lebensregeln (Windpferd 2005), Das Reiki-Meister-Buch (Windpferd 2007). CD mit Merlin's Magic: Reiki-Elixier inkl. Booklet (Windpferd 2007).

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. von dem unterscheidet, was Mikao Usui oder Hawayo Takata gelehrt haben sollen
    Wie kann man eine Unterscheidung machen, wenn man die ursprüngliche Lehre gar nicht genau kennt?
    Spurlos geht ihr Wirken sicher nicht an der Reiki-Gemeinschaft vorbei – wenn es auch in meinen Augen eher zu Lasten einer verantwortungsvollen Reiki-Praxis sein dürfte.
    Eine verantwortungsvolle Reiki-Praxis im Sinne von System-Treue?

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