albertros hat geschrieben:Gibt es hier Leute die Reiki freiberuflich machen?
Ich möchte mich gerade anmelden, und man sagte mir beim Arbeitsamt, alle die Reiki machen wären hier freiberuflich beim Finanzamt angemeldet.
Jetzt wollte ich aber mal ganz gerne wissen was ich dann an Steuern zahlen muss, wenn ich das hauptberuflich mache, am Ende.
Aber niemand konnte mir dazu was sagen, auch mehrer Mitarbeiter beim Finanzamt übten sich in Schweigen. "Das ist schwer zu sagen", war das höchste der Gefühle.
Auch was ich im Internet fand ist schwer durchschaubar.
Was für Steuern müsst Ihr zahlen?
Hallo Albertros,
ich versuche es mal mit ein bisschen Aufklärung in Sachen Staatsbürgerkunde, vielleicht hilft dir (und anderen) das ja etwas weiter.
Zunächst einmal gilt es das Einkommensteuergesetz und das Heilpraktikergesetz zu beachten:
https://www.gesetze-im-internet.de/estg/__18.html
https://www.gesetze-im-internet.de/heilprg/__1.html
Dies sind Bundesgesetze, deren Ausgestaltung aber wiederum den Behörden der einzelnen Bundesländern anheim gestellt ist.
Diese Bundesbehörden delegieren nun wiederum einzelne Bereiche an kommunale Behörden, was bedeutet, dass dir die Beamten/Angestellten in deinem kommunalen Rathaus dir tatsächlich keine vernünftige Antwort geben können, da es schlicht und ergreifend nicht in ihren Kompetenzbereich fällt. Geben sie dir nun fasche Auskünfte und du berufst dich irgendwann mal darauf, kriegen die die Ohren gerubbelt, eben weil sie sich in ein Gebiet eingemischt haben für das sie ggf. gar nicht ausgebildet sind ... was diese Bediensteten natürlich vermeiden möchten.
(Hierzu ein kleiner "Ausflug" ins Baurecht, ein Fall, denn ich selbst erlebt habe. In unserer Wohnanlage (Eigentumswohnungen) hat eine Eigentümerin ihre Dachterrasse verändert und dazu ein neues Balkongeländer anbringen lassen. Laut des Bauamtes der Gemeinde, die aber nur für die gestalterische Planung und des Bebauungsplans des Ortes zuständig ist, ist und war dies schon immer genehmigt. Nun braucht man aber für jedwede bauliche Veränderung an einer Immobilie eine Baugenehmigung und dafür ist die Baubehörde des Kreises zuständig.
Diese Eigentümerin hat nun mündlich bei der Gemeindebehörde angefragt und mündlich die Auskunft erhalten, dass sie das Geländer anbringen darf, man hat ihr aber nicht gesagt, dass sie auch eine Genehmigung des Bauamtes des Kreises braucht. Somit hat sie ein Geländer erstellt und wenn sich jetzt jemand beim Bauamt beschweren würde, müsste sie es gegebenenfalls wieder abreissen und würde auf den Kosten sitzen bleiben.)
Derzeit ist die gängig praktizierte Rechtsmeinung die, dass du als Nicht-Heilpraktiker gewerblich tätig bist und damit den steuerlichen Gegebenheiten, aber auch anderen kommunalen Regelungen unterworfen bist, die für Gewerbeberufe gelten.
So können die Kommunen z.B. im Rahmen ihrer "Parkraumbewirtschaftung" festlegen, dass du, wenn du Reiki anbietest (egal ob gewerblich oder freiberuflich), einen oder mehrere Parkplätze auf dem Grundstück, auf dem du die Tätigkeit ausübst, nachweisen musst. Kannst du die nicht nachweisen, kannst du dich von dieser Verpflichtung in Form von Gebühren quasi freikaufen. Kannst du nachweisen, dass nur ein Klient zu Zeit bei dir ist, kann die Gemeinde aber auch von diesen Gebühren absehen. Kann sie ... muss sie aber nicht. Und es gibt viele "Kann-Bestimmungen" im deutschen Recht.
Weiterhin gibt es Mischformen der selbständigen Tätigkeit.
Als "reiner Reiki-Lehrer" könnte man dich eventuell als Freiberufler einstufen. Gibst du aber auch Reikibehandlungen (gegen Bezahlung) wäre das wieder eine gewerbliche Tätigkeit, da es eine Dienstleistung im steuerrechtlichen Sinn darstellt. Du musst dann deine Einkünfte als Lehrer freiberuflich versteuern und die Einkünfte aus Behandlungen gewerblich. Da das alles sehr individuelle Dinge des einzelnen Praktizierenden sind, kann dir auch keine Behörde eine allgemeingültige abschließende Antwort geben.
Es gibt also grundsätzlich folgendes zu beachten:
es gibt Bundesbehörden, Landesbehörden, kommunale Behörden auf Kreisebene und kommunale Behörden auf Gemeindeebene. Alle haben unterschiedliche Aufgaben und Kompetenzen und mit allen musst du dich gegebenenfalls auseinandersetzen, um herauszufinden, wie es denn nun richtig ist.
Die wichtigste Frage ist daher immer: "Ist diese Behörde die zuständige Behörde ?" Wenn nicht ist die zweitwichtigste Frage: "Welche Behörde ist zuständig ?"
Und alleroberstes Gebot ist, Anfragen oder Anträge
schriftlich zu stellen, denn nur dann teilt dir eine nicht-zuständige Behörde mit, dass sich nicht zustämdig ist bzw. wer zuständig ist. Und dazu ist eine Behörde verpflichtet.
Mein Tipp:
Löchere "deine" Behörde also immer wieder mit schriftlichen Anfragen nach der zuständigen Behörde (denn deren Beantwortung ist kostenfrei solange sie nicht selbst zuständig ist und ein "ja" der zuständigen Behörde ebenfalls).
Wenn du die zuständige Behörde gefunden hast, wende dich an die. Hier kannst du dich auch persönlich nach bestimmten Voraussetzungen erkundigen, die du für jenes oder welches zu erfüllen hast.
Und stelle deine Anträge auch schriftlich. Bekommst du nämlich einen Bescheid einer nicht-zuständigen Behörde und entstehen dir daraus finanzielle Nachteile, kannst du die bescheidende nicht zuständige Behörde regresspflichtig machen, das heisst, diese muss dir dann deine Unkosten erstatten.
Bekommst du einen negativen Bescheid einer zuständigen Behörde, muss man dir die Gründe mitteilen und du kannt gegebenenfalls dagegen angehen.
Und bekommst du einen positiven Bescheid, teilt man dir die Auflagen etc. mit.
Aber denk daran, deinen Antrag exakt zu formulieren, denn egal ob positiver oder negativer Bescheid, diese sind meist kostenpflichtig.
Und auch ganz wichtig: unterscheide zwischen Anfrage und Antrag.
Die Bezeichnung für behördliches Tätigwerden nennt sich im Amtsdeutsch
Verwaltungsakt. Und der darf nur durch die örtlich und sachlich zuständige Behörde und durch den persönlich zuständigen Sachbearbeiter durchgeführt werden.
Was ich hier geschrieben habe, erhebt nun keinen Anspruch auf Vollständigkeit und hilft vielleicht auch nicht unmittelbar weiter. Wer sich selbständig machen möchte ist eben in der Pflicht, sich auch selbstständig um alles zu kümmern, was damit zu tun hat.
Was die Steuern angeht, ist noch etwas weiteres zu beachten:
wenn du deine Steuererklärung aufgrund einer falschen Ausgangslage machst, z.B. dein Einkommen als Freiberufler versteuerst anstatt als Gererbetreibender, kann das Finanzamt bis zu zehn Jahren die Steuer nacherheben, die tatsächlich fällig gewesen wäre und das Fimanzamt stundet diesen Betrag nicht und der kann ggf. ziemlich hoch sein.
Wenn du diese falschen Steuererklärungen versehentlich abgegeben hast, bleibt es wahrscheinlich bei einer Nachforderung. Grundsätzlich wird aber eher davon ausgegangen, dass es sich nicht um ein Versehen handelt sondern um Absicht. Denn interessanterweise suchen ja immer alle nach der Möglichkeit, Steuern zu sparen.
Daher würde möglicherweise auch noch ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet werden und wenn man dafür verurteilt werden sollte kommt möglicherweise auf eine dicke Nachzahlung an die Steuer auch noch eine fette Geldstrafe dazu.
Ich hoffe, dass dies allen ein bisschen weiterhilft, zu verstehen, warum man in diesem hochbürokratischen Land so viele Klippen nehmen muss und wie man die kleineren davon umgehen kann.
LG Kanji